Lisas Depressionen
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Kritische Überlegungen zu Lisas Bericht
Wir vom Selbsthilfeverband Psychiatrie-Erfahrener möchten Lisas Bericht zum Anlass nehmen, um einige kritische Überlegungen zu ihrer Situation und deren Handhabung anzustellen:
Einblicke in den Klinikalltag: Lisas Erfahrungsbericht
➡️ Unser Landesnetzwerk erhielt nachfolgenden Erlebnisbericht, den wir hier gerne teilen möchten. Lisa, eine Betroffene, berichtet über ihre Erfahrungen in einer Landesklinik in Rheinland-Pfalz und gibt Einblicke in die Herausforderungen und Lichtblicke ihrer Behandlung.
➡️ Mein Name ist Lisa. Ich möchte meine Erfahrungen teilen, wie ich in einer Landesklinik in Rheinland-Pfalz Hilfe für meine Depression suchte.
Monatelang kämpfte ich mit schweren Depressionen. Jeder Tag fühlte sich endlos an. Schließlich entschied ich mich, Hilfe zu suchen, obwohl mich der Gedanke daran noch mehr ängstigte. Es fühlte sich an, als müsste ich einen riesigen Berg erklimmen. Ich wählte eine Landesklinik in der Nähe, in der Hoffnung auf Unterstützung.
Der Aufnahmeprozess war überwältigend. Nach einem kurzen Gespräch wurde ich auf eine Warteliste gesetzt – mehrere Wochen Wartezeit. Diese Zeit verstärkte meine Angst und Unsicherheit. Ich fühlte mich allein und fragte mich, ob ich jemals die benötigte Hilfe bekommen würde.
Als ich endlich aufgenommen wurde, war das Personal zwar freundlich, doch die Station war laut und chaotisch. Menschen hörten Stimmen, andere entwöhnten von Alkohol oder Drogen und waren teilweise fixiert. In meinem Zimmer war eine Frau, die sich selbst verletzte. Die Therapiesitzungen waren hilfreich, aber zu kurz. Die Therapeuten standen unter großem Druck und hatten kaum Zeit für spontane Gespräche oder akute Krisen. Freizeitangebote gab es kaum, und die Langeweile verstärkte meine Verzweiflung.
Ein weiteres großes Problem war die Bürokratie. Unzählige Formulare mussten ausgefüllt werden, um die Behandlungskosten von meiner Krankenkasse genehmigt zu bekommen. Dieser Prozess war langwierig und frustrierend, besonders in einer Zeit, in der ich Ruhe und Stabilität suchte.
Die Gruppentherapie war ein Lichtblick. Der Austausch mit anderen Betroffenen half mir, mich weniger isoliert zu fühlen, aber sie war viel zu selten. Oft hatte ich das Gefühl, dass meine individuellen Bedürfnisse in der Masse untergingen.
Nach meiner Entlassung fühlte ich mich etwas stabiler, aber ich wusste, dass der Weg zur Genesung noch lang war. Die Nachsorge zu organisieren war schwierig, da es an Therapieplätzen mangelte und ich lange auf Folgetermine warten musste. Ich hatte auch keine Ahnung von meinen Rechten und wer was finanziert.
Ich bin dankbar für die Unterstützung in der Landesklinik. Dennoch zweifle ich stark daran, ob mein Aufenthalt dort und meine freiwillige Entscheidung, dorthin zu gehen, mir mittel- oder langfristig geholfen haben. Eines ist sicher: Ich werde freiwillig nicht mehr dorthin gehen, und die Vorstellung, dort gegen meinen Willen untergebracht zu sein, macht mir erneut Angst und raubt mir jeglichen Lebensmut.
Ich hoffe auf alternative Möglichkeiten, denn meine seelische "Krankheit" habe ich mir nicht ausgesucht.
Ich hoffe weiters, dass meine Erfahrungen dazu beitragen, die Versorgung und Unterstützung für Menschen mit psychischen Erkrankungen in Rheinland-Pfalz zu verbessern.
Lisa, 35 Jahre
Dieser Bericht spiegelt häufige Erfahrungen von Menschen wider, die in Rheinland-Pfalz psychiatrische Hilfe suchen. Namen und Orte wurden anonymisiert. Der Bericht wurde zur besseren Lesbarkeit und Verständlichkeit von der Redaktion überarbeitet und basiert auf einer wahren Begebenheit.
Lange Wartezeiten und Bürokratie:
- Die langen Wartezeiten und der bürokratische Aufwand sind gravierende Hindernisse. Ein schnellerer und unbürokratischer Zugang zu Unterstützung ist dringend erforderlich.
Überforderung des Klinikpersonals:
- Das Klinikpersonal steht unter großem Druck und hat wenig Zeit für individuelle Gespräche und akute Krisenintervention.
Individuelle Bedürfnisse der Patienten werden oft nicht ausreichend berücksichtigt.
Fehlende Freizeitangebote und Unterstützung im Alltag:
- Die fehlenden Freizeitangebote verschärften Lisas Verzweiflung. Eine ganzheitliche Behandlung sollte sinnvolle Beschäftigungen und soziale Kontakte fördern.
Inadäquate Unterbringung:
- Die Unterbringung mit Patienten, die unter anderen schweren Problemen leiden, kann belastend sein. Eine differenzierte und psychisch entlastende Unterbringung nach Bedarf scheint uns sinnvoller zu sein.
Nachsorge und Kontinuität:
- Die Nachbetreuung ist oft unzureichend. Eine kontinuierliche und gut koordinierte Nachsorge ist entscheidend für die langfristige Stabilisierung.
Unkenntnis über Rechte und Finanzierung:
- Bessere Aufklärung über Rechte und finanzielle Aspekte ist notwendig.
Aktuelle Informationen sind oft zu kompliziert und schwer verständlich, was bei den Patienten das Gefühl des Alleingelassenseins verstärkt.
Lange Wartezeiten und Bürokratie:
- Lösung: Einführung eines Notfallzugangssystems, bei dem Patienten in akuten Krisen innerhalb von 48 Stunden einen Ersttermin bei einem Therapeuten oder in einer Kriseninterventionsstelle erhalten. Digitalisierung und Vereinfachung von Antrags- und Verwaltungsprozessen können helfen, den bürokratischen Aufwand zu reduzieren und den Zugang zu Unterstützung zu beschleunigen. Lisas mehrwöchige Wartezeit auf einen Therapieplatz verstärkte ihre Angst und Unsicherheit erheblich und hinderte sie daran, die Energie der Krise für ihre Genesung zu nutzen. Ein unbürokratischer und schneller Zugang zu Unterstützung ist dringend erforderlich, um solche Belastungen und Unsicherheiten zu minimieren. Der Grundsatz sollte immer gelten: Behandlung vor Bürokratie, nicht umgekehrt.
Überforderung des Klinikpersonals:
- Lösung: Eine bessere personelle Ausstattung und verbesserte Arbeitsbedingungen sind notwendig, um eine patientenzentrierte Versorgung zu gewährleisten. Ein erster Ansatz könnte die Reduktion verpflichtender Dokumentationen sein oder die Einstellung einer Bürokraft, die mithilfe neuer KI-Techniken die Anweisungen der Ärzte und Pflegekräfte übernimmt.
Fehlende Freizeitangebote und Unterstützung im Alltag:
- Lösung: Entwicklung und Implementierung von Freizeit- und Beschäftigungsprogrammen, die den Interessen und Fähigkeiten der Patienten entsprechen. Die Einbeziehung von ehrenamtlichen Helfern und externen Anbietern soll neben dem Einsatz von professionell agierenden Pflegekräften ein breites Spektrum an Aktivitäten und sozialen Interaktionen gewährleisten, die zur psychischen Gesundheit beitragen. Auch an dieser Schnittstelle halten wir den Einsatz von Genesungsbegleitern/Peerberatern für sinnvoll, die ein ausreichendes Angebot an Gesellschaftsspielen vorhalten und zu gemeinsamen Unternehmungen sowie zur Kontaktaufnahme untereinander ermuntern und den Recoveryprozess frühzeitig mit anstoßen können.
Inadäquate Unterbringung:
- Lösung: Einführung spezialisierter Stationen oder Bereiche innerhalb von Kliniken, die Patienten entsprechend ihrem Erkrankungsbild und ihren spezifischen Bedürfnissen unterbringen. Regelmäßige Überprüfung und Anpassung der Unterbringungskonzepte, um sicherzustellen, dass Patienten in einer unterstützenden und förderlichen Umgebung behandelt werden. Dazu gehören jederzeit verfügbare Rückzugsmöglichkeiten und harmonisch eingerichtete Ruheräume.
Nachsorge und Kontinuität der Betreuung:
- Lösung: Aufbau eines umfassenden Nachsorgesystems, das bereits während des Klinikaufenthalts beginnt und nahtlos in die ambulante Betreuung übergeht. Einführung eines Fallmanagements, bei dem ein fester Ansprechpartner die Nachsorge koordiniert und sicherstellt, dass Patienten zeitnah Therapieplätze und weitere Unterstützung erhalten. Soziotherapeutische Angebote sowie Genesungsbegleiter / Peerberater sollten bereits während des Klinikaufenthalts mit eingebunden und als "Brückenbildner" in den Alltag gtenutzt und gefördert werden.
Unkenntnis über Rechte und Finanzierung:
- Lösung: Einfache und verständliche Informationen über rechtliche und finanzielle Aspekte sollten Teil der Unterstützung sein. Erweiterte unabhängige Teilhabeberatungsstellen (EUTB) sind nur ein erster Schritt. Bei Bedarf sollte eine Begleitung durch Soziotherapeuten oder Genesungsbegleiter/Peerberater angeboten werden, die unbürokratisch und schnell über die Krankenkassen oder die Eingliederungshilfe eingesetzt und finanziert werden können und deren Kontakt bereits in der Klinik angebahnt wurde.
Antwort auf die Frage:
Das bieten wir Euch doch schon alles an!
Warum könnt ihr das nicht sehen oder wenigstens als Unterstützung für Euch anerkennen?Es ist erfreulich zu hören, dass bereits viele Maßnahmen zur Verbesserung der psychischen Gesundheitsversorgung ergriffen werden. Dennoch zeigt uns die Realität eine andere Wahrheit. Lange Wartezeiten, überfordertes Klinikpersonal, fehlende Freizeitangebote, inadäquate Unterbringung, mangelhafte Nachsorge und unzureichende Aufklärung über Rechte und Finanzierung sind weiterhin gravierende Hindernisse im Alltag vieler Betroffener und in den Kliniken.Trotz der bestehenden Ansätze sind die Umsetzung und die tatsächliche Wirkung dieser Maßnahmen oft nicht ausreichend, um den Bedarf der Betroffenen zu decken. Viele von uns erleben nach wie vor erhebliche Schwierigkeiten, die angebotene Unterstützung in der Praxis als hilfreich zu erkennen und zu nutzen. Daher appellieren wir eindringlich an alle Verantwortlichen, die aktuellen Strategien zu überdenken und intensiver daran zu arbeiten, dass die geplanten Maßnahmen auch wirklich bei den Betroffenen ankommen und ihre Lebensqualität nachhaltig verbessern.Lisas Geschichte zeigt, dass viele Bereiche der psychiatrischen Versorgung dringend verbessert werden müssen. Die Bedürfnisse und Rechte der Patienten müssen stärker in den Fokus gerückt werden, um angemessene Hilfe sicherzustellen.Einige von uns haben nicht mehr so viel Zeit, um weiterhin auf die dringend notwendigen Veränderungen zu warten.