BARRIEREFREIHEIT
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Barrierefreiheit für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen:
Ein oft übersehenes Thema
Barrierefreiheit bedeutet mehr als nur Rampen und breite Türen – auch Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen und Herausforderungen benötigen zugängliche Strukturen. Doch wie sieht Barrierefreiheit in diesem Kontext aus?
Oft fehlt es an Bewusstsein und Verständnis, was zu Unsicherheiten im Umgang mit betroffenen Personen führen kann. Dabei sind einfache Maßnahmen, wie klare und verständliche Kommunikation, Rückzugsräume und flexible Terminvereinbarungen, wichtige Schritte, um psychische Barrieren abzubauen.
Wir haben unsere Mitglieder befragt, welche Barrieren sie als Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen erleben:
Unsichtbare Barrieren:
Psychische Barrieren sind oft nicht sichtbar und daher schwerer zu erkennen und zu verstehen, sowohl für Betroffene als auch für ihre Umwelt.
Bildung und berufliche Entwicklung:
- Gesundheitsgutachten können aufgrund psychischer Beeinträchtigungen negativ ausfallen und den Zugang zu Bildungsangeboten verwehren.
- Bewerbungen im sozialen Bereich und für Erzieherstellen werden häufig aufgrund psychischer Diagnosen abgelehnt.
- Trotz vieler Umschulungen im Rahmen der Reha-Maßnahmen können Betroffene oft in keinem Bereich Fuß fassen.
- Die EX-IN-Qualifikation wird oft nicht als berufliche Perspektive anerkannt, sondern nur als soziale Teilhabe.
Arbeitsmarkt und Inklusion:
- Vorurteile von Arbeitgebern: Viele Arbeitgeber haben Bedenken, Menschen mit psychiatrischen Diagnosen einzustellen, aus Angst vor Ausfallzeiten oder verminderter Leistungsfähigkeit.
- Der Wiedereinstieg in den ursprünglichen Beruf wird durch psychologische Gutachten erschwert, die oft auf Vorurteilen basieren.
- Unsicherer Zugang zu Rehabilitationsmaßnahmen: Viele haben Probleme, berufliche Reha-Maßnahmen zu erhalten, die den Wiedereinstieg erleichtern.
- Mangel an inklusiven Programmen: Es gibt nur wenige Programme, die gezielt die Inklusion von Menschen mit psychischen Diagnosen im Arbeitsmarkt fördern und unterstützen.
- Diskriminierung bei Beförderungen: Menschen mit psychischen Erkrankungen haben oft weniger Aufstiegschancen, da ihre Fähigkeiten unterschätzt oder ignoriert werden.
Arbeitsumfeld:
- Kollegen sind oft hilflos im Umgang mit psychischen Besonderheiten. Die Zuteilung von Arbeiten und Arbeitszeiten berücksichtigt selten die Bedürfnisse von Betroffenen.
- Offene Gespräche über Erfahrungen werden oft nicht ernst genommen.
- Diskriminierung am Arbeitsplatz: Viele Betroffene erfahren Vorurteile oder Diskriminierung, die ihre beruflichen Chancen und das Wohlbefinden beeinträchtigen.
Wohnen:
- Es ist schwer, als Mensch mit psychischen Beeinträchtigungen eine Wohnung zu bekommen. Selbst städtische Wohnungsgesellschaften lehnen Betroffene oft als Mieter ab.
Gesellschaftliche Stigmatisierung:
- Nach Krankenhausaufenthalten spekulieren Nachbarn über mögliche Diagnosen und betrachten alltägliche Handlungen als krankhaft.
- Medienberichte über Straftaten betonen oft die psychische Verfassung des Täters, was zur Stigmatisierung beiträgt
- Rechtliche Hürden: Komplexe Gesetze und Vorschriften erschweren Betroffenen die Inanspruchnahme von Rechten oder Leistungen.
Diskriminierung und Vorurteile:
- Es ist schwierig, Hilfe zu suchen, ohne Sorge, wie man anschließend bewertet wird.
- Die Frage nach Diagnosen bei Beratungen wird als unangenehm und stigmatisierend empfunden.
- Selbststigmatisierung: Betroffene können aufgrund gesellschaftlicher Vorurteile negative Einstellungen gegenüber sich selbst entwickeln, was die Heilung behindert.
Soziale Isolation:
- Nach Klinikaufenthalten enden Freundschaften oft, was zu sozialer Isolation führt.
- Psychische Diagnosen werden als Schimpfwörter verwendet und führen zu weiteren Barrieren im Kopf.
- Reizüberflutung durch Lärm, Hektik und intensive Gerüche macht Betroffene oft handlungsunfähig. (siehe Artikel "Stille Stunde")
Medizinische Versorgung:
- Fachärzte nehmen körperliche Beschwerden oft nicht ernst, wenn Patienten über psychische Probleme reden und Psychopharmaka einnehmen.
- Die Fachsprache im Gesundheitssystem ist oft eine Barriere; die Kommunikation sollte barrierefrei und verständlich für jedermann/-frau sein.
Digitale Welt:
- Die digitale Welt stellt große Herausforderungen dar, wie z.B. beim Kauf von Fahrkarten, digitale Selbstbedienungskassen vs. lange Kassenschlangen.
- Digitale Exklusion: Mangelnder Zugang zu Geräten und Internet verhindert Teilhabe.
- Geringe digitale Gesundheitskompetenz: Schwierigkeiten, verlässliche von falschen Informationen zu unterscheiden.
Psychiatrische Diagnosen:
- Diagnosen führen oft zu Vorurteilen und Diskriminierung im gesellschaftlichen und beruflichen Umfeld.
- Diagnosen bleiben ein Stigma, das zukünftige Gespräche beeinflusst und Angst vor neuen Diagnosen produziert
- Die (sofortige) Frage nach Diagnosen bei Beratungen und im beruflichen Umfeld wird als unangenehm und stigmatisierend empfunden.
*Diese Barrieren zeigen, wie viel noch getan werden muss, um echte Inklusion und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ohne Hindernisse zu ermöglichen.
* Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, und wir sind bestrebt, sie kontinuierlich zu aktualisieren, um weitere Barrieren zu berücksichtigen.
Barrieren abbauen:
Unterstützung für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen
Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen stehen oft vor unsichtbaren Barrieren, die ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erschweren. Um diese Hindernisse abzubauen und eine unterstützende, inklusive Gesellschaft zu schaffen, sind vielfältige Maßnahmen und ein gemeinsames Engagement erforderlich. Hier sind einige Ideen und Forderungen, wie wir diese Ziele erreichen können:
1. Aufklärung und Sensibilisierung
Medienkampagnen: Kampagnen in den Medien sollten Mythen über psychische Beeinträchtigungen entkräften und über die Realität psychischer Erkrankungen aufklären.Schulungen und Workshops: Regelmäßige Schulungen in Schulen, Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen können das Bewusstsein für psychische Gesundheit erhöhen und Stigmatisierung abbauen.
2. Verbesserung der Barrierefreiheit
Digitale Hilfsmittel: Entwicklung und Bereitstellung von digitalen Anwendungen, die den Alltag erleichtern und den Zugang zu Unterstützung verbessern.Anpassung von Arbeitsplätzen: Arbeitsplätze und öffentliche Räume sollten so gestaltet werden, dass sie den Bedürfnissen von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen gerecht werden.
3. Unterstützungsnetzwerke und Gemeinschaften
Lokale Netzwerke: Aufbau von Netzwerken, die Beratung und Unterstützung auf lokaler Ebene anbieten.Selbsthilfegruppen: Förderung von Selbsthilfegruppen, in denen Betroffene sich austauschen und gegenseitig unterstützen können.
4. Zugang zu Therapie und Beratung
Zugänglichkeit und Bezahlbarkeit: Diese Angebote sollten leicht zugänglich und bezahlbar sein, damit jeder die notwendige Hilfe in Anspruch nehmen kann.Erweiterung des Angebots: Mehr psychologische Beratungsstellen und Therapiemöglichkeiten müssen geschaffen werden, um den steigenden Bedarf zu decken.
5. Politische Maßnahmen und Gesetze
Finanzielle Unterstützung: Unternehmen, die inklusive Arbeitsplätze schaffen, sollten finanziell unterstützt und gefördert werden.Stärkung der Rechte: Gesetze, die den Schutz und die Rechte von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen stärken, müssen gefördert und umgesetzt werden.
6. Bildung und Ausbildung
Fort- und Weiterbildungen: Fachkräfte im Gesundheitswesen sollten regelmäßig fort- und weitergebildet werden, um eine bessere Unterstützung bieten zu können.Integration in den Lehrplan: Themen der psychischen Gesundheit sollten fester Bestandteil des Lehrplans in Schulen und Universitäten sein.
7. Förderung der Forschung
Unterstützung von Forschungsprojekten: Finanzierung von Forschungsprojekten, die sich mit den Ursachen, Behandlungsmöglichkeiten und dem Abbau von Barrieren bei psychischen Beeinträchtigungen beschäftigen.
8. Förderung eines offenen Dialogs
Geschichten von Betroffenen: Förderung von Geschichten und Berichten von Betroffenen, um die gesellschaftliche Akzeptanz zu erhöhen.Schaffung von Plattformen: Plattformen und Foren sollten geschaffen werden, in denen offen über psychische Gesundheit gesprochen werden kann.
9. Individuelle Unterstützung
Individuelle Pläne: Entwicklung individueller Unterstützungs- und Rehabilitationspläne.Persönliche Assistenzdienste: Bereitstellung von persönlichen Assistenzdiensten und Begleitpersonen, die Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen im Alltag unterstützen.
Fazit
Das Auflösen der Barrieren für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen erfordert kontinuierliches Engagement und Zusammenarbeit. Durch Aufklärung, verbesserte Barrierefreiheit, Unterstützungssysteme und politische Maßnahmen können wir gemeinsam eine inklusive und unterstützende Gesellschaft schaffen. Es liegt an uns allen, aktiv zu werden und diese Veränderungen voranzutreiben.